Lebensphasenmodell nach Bernard Lievegoed

Bernard Lievegoed hat 1981 in seinem Buch Lebenskrisen - Lebenschancen sein Konzept der menschlichen Entwicklung dargestellt, ein Konzept, das bis heute Gültigkeit hat, und das sich gut in die Konzepte der Potentialentfaltung und der Bewusstseinsstufen nach Spiral Dynamics einfügt. Der Schwerpunkt hier liegt auf der menschlichen Entwicklung ab der Lebensmitte. 

 

 

Im Laufe der vierziger Jahre 

  • entscheidet sich die weitere Entwicklung: entweder misst man sein Selbstwertgefühl an der äußeren Welt, dem, was man bisher leisten konnte - dann gerät man in eine Krise - oder man gewinnt sein Selbstwertgefühl daraus, für andere da sein und eigene Erfahrungen weitergeben zu können. Dann kann eine neue soziale Phase einsetzen.
  • Ich selbst entscheide, was für mich auf geistigem Gebiet gut ist, nicht mehr andere. Die Lebensphase um Mitte vierzig herum zählt als eine zur Krise disponierten Phase. Sie ist vergleichbar mit der Pubertät, der eine Periode der Sicherheit vorangeht und die jäh abgebrochen wird durch die Erkenntnis, dass der Mensch sich und das Leben nicht kennt. Der große Unterschied liegt darin, dass die erste Pubertät sich bei aufsteigender Lebenslinie und die zweite sich bei absteigender, abnehmender Vitalität abspielt. 
  • Die wesentliche Frage ist, ob man sich aus der Ich-Verhaftung, in Form von Geltungsdrang, Machstreben und Nützlichkeitsaspekten lösen kann. Insbesondere Menschen mit einer geistigen Aufgabe erleben diese Jahre als den Beginn einer wirklich schöpferischen Phase. Diejenigen, die beruflich mit jungen Leuten zu tun haben und sich aus der Ich-Verhaftung lösen konnten, entwickeln sich zu einer wirklich führenden Autorität, die von der Jugend akzeptiert wird. Mitgefühl und Hilfsbereitschaft treten an die Stelle von Ich-Verhaftung. Günstig ist es, sich folgende Fragen zu stellen: Was will ich in dieser Lebensphase tun? Was will durch ich in die Welt kommen? Was ist meine wirkliche Aufgabe? 
  • Oft kommt der Anstoß von außen. Man reagiert jedoch nur dann darauf, wenn man die nötige Reife hat. Wissen schützt vor dieser Entwicklung nicht. Der große Vorteil: man weiß, dass es hier einzig und allein um einen selbst geht, und man sucht nicht Fehler in der Umgebung oder den Umständen, auch nicht nach Sündenböcken. Das Schicksal kommt von innen – auch wenn es die Außenwelt ist, die es einem sagt.

 

Die fünfziger Jahre

  • Hat man das Neue nicht gefunden, stürzt sich der Mensch immer mehr in seine Arbeit. Jüngere werden als Bedrohung empfunden. Man klammert sich an Recht und Stellung und die eigene Lebenserfahrung wird idealisiert. Die Jugend ist schlecht, kann nichts mehr, ist verwöhnt und hat keinen Respekt vor dem Alter.
  • Wenn der Übergang jedoch gelingt, dann wird das Leben interessanter. Die kleinen alltäglichen Problemen sind nicht mehr so wichtig. Man empfindet tiefe Freude, wenn man junge Menschen in der expansiven Phase ihres Lebens wachsen sieht. 
  • Das ist auch das Alter der „eminent leaders“, der großen Führungspersönlichkeiten. Auch Frauen stehen zwei Möglichkeiten offen: entweder sie lassen ihre Verbitterung an anderen aus oder sie leiten wie eine Mutter junge Menschen in einer Atmosphäre von Fröhlichkeit an. Solche Frauen entdecken, dass sie sich wieder viel mehr zutrauen und dass sie einen neuen Aspekt in ihrem Leben verwirklichen können.

 

Die sechziger Jahre und danach

  • Noch ist die Entwicklung nicht abgeschlossen. Ungefähr Mitte fünfzig wendet sich der Blick wieder nach innen. Die Realität der Pensionierung ist ein entscheidender Faktor. Wenn wir uns ehrlich fragen, welche Qualitäten wir als die Frucht unseres Lebens durch das Tor des Todes mitnehmen werden, dann wird deutlich, dass wir uns noch einmal von Dingen lösen müssen, die wir selbst aufgebaut haben und die andere sicher anders fortführen werden. 
  • Jetzt sind wir eingeladen, uns auf das vorzubereiten, was man noch tun will, das zu erkennen was man bleiben lassen kann, und das in Angriff zu nehmen, was man noch zu Ende führen will. 
  • Krise und der Höhepunkt der 50er Jahre, und schließlich die letzte endgültige Bestandaufnahme, haben aus uns einen reifen Menschen gemacht, der ein Gefühl für den Unterschied zwischen Klugheit und Weisheit entwickelt hat. Stille und Frieden erhöhen die innere Aktivität, aus der schließlich Güte erwächst. Durch reifere Menschlichkeit wird deutlich, dass Altersweisheit sich in einer zeitlosen Welt offenbaren kann. Jetzt kann man die Essenz des Lebens zusammenfassen und Werte und Sinngebung finden, die der Vergänglichkeit nicht mehr unterworfen sind.

 

Quelle: Lievegoed Bernard, Lebenskrisen Lebenschancen, Die Entwicklung des Menschen zwischen Kindheit und Alter, 2. Auflage 1981

Bild: https://pixabay.com/de/photos/butterfly-life-cycle-natur-insekt-3264176/

Bild: Lebensphasenmodell nach H. v. Sassen und Bernard Lievegoed (Quelle: Internet)