Potentialentfaltung nach Gerald Hüther

Grundsätzliche Gedanken zur Potentialentfaltung nach Gerald Hüther:

  • Selbstorganisation und Potentialentfaltung sind Grundlagen der Organisation des Lebens. Jedes lebende System wird immer wieder durch Einflüsse von außen gestört. Daher muss es Lösungen finden, um das eigene innere Beziehungsgefüge aufrecht zu erhalten. Das gelingt leichter, wenn es unangestrengte, stress- und konkurrenzfreie Phasen gibt, in denen kreative und innovative Lösungen möglich sind. Dabei gilt es, die zwei elementaren Grundbedürfnisse, einerseits nach Verbundenheit und andererseits nach Autonomie, zu berücksichtigen. 
  • Bewusstsein, so scheint es, entsteht nicht an einem bestimmten Ort im Hirn. Die Fähigkeit Bewusstsein zu entwickeln und seine Aufmerksamkeit bewusst auf etwas Bestimmtes zu lenken, scheint also eher das Ergebnis eines durch soziale Erfahrungen (Überlieferung von Wissen, von Fähigkeiten und Fertigkeiten, von Welt- und Menschenbildern) vermittelten Lernprozesses als ein vom Gehirn aus sich selbst hervorbringbares Phänomen zu sein. Es kann nur etwas hinzu- oder umgelernt, aber nie etwas wirklich neu erlernt werden. Wenn etwas nachhaltig gelernt werden soll, muss es irgendwie "unter die Haut gehen". 
  • Der Mensch ist ein Suchender und trägt die Fähigkeit in sich, aus Fehlern und Verirrungen zu lernen. Alles was lebt befindet sich im Prozess des eigenen Werdens. Wir sind das bisher gefundene Ergebnis eines fortwährenden Lernprozesses. Wird ein Lebewesen in seiner Kohärenz gestört, besteht die Chance für eine tiefgreifende Umgestaltung. Die Suche nach nachhaltigen Lösungen verbraucht im Hirn jedoch viel Energie. Daher wird sich nur jemand darauf einlassen, wenn ihm etwas anderes deutlich und spürbar wichtiger ist als die schnelle Lösung. 
  • Die Macht innerer Bilder: Was wir wissen, was wir glauben und was wir für richtig halten, haben wir von anderen Menschen übernommen. Nicht genetische Programme, sondern die Art und Weise, wie wir unser Gehirn benutzen, ist entscheidend dafür, wie sich die Nervenzellen miteinander verbinden. Unsere Gefühle sind wichtige Signale für unsere eigene Lebensbewältigung, ohne die wir keine neuen Erfahrungen machen und uns nicht ändern könnten. Wir können nur lernen und innere Kraft gewinnen, wenn wir immer wieder vor Probleme gestellt werden, die wir bewältigen müssen. Jetzt liegt es an uns zu entscheiden, ob wir die Welt hirngerechter, also menschlicher gestalten wollen.
  • Verwicklung und Entwicklung: Erleben wir ein Problem (Inkohärenz) in unserem Leben, dann will unser Gehirn ganz schnell wieder einen kohärenten Zustand, weil es da am wenigsten Energie verbraucht. Zu den meist kurzfristigen Lösungsversuchen zählen Rückzug, Abwarten, sich möglichst viele Informationen und Wissen zu verschaffen oder nach jemanden zu rufen, der sagt, was zu tun ist. Nachhaltige Lösungen und Entscheidungen können jedoch meist nur dann gefunden und getroffen werden, wenn wir in uns hineinspüren und uns danach ausrichten, was uns guttut, was uns lebendig erhält, was uns "ruft" und unser Leben erfüllt.
  • Angst ist der Wegweiser in die Freiheit. Gäbe es die Angst mit ihren zum Teil auch sehr unangenehmen Begleiterscheinungen nicht, wären wir nicht überlebensfähig. Beliebte Strategien sind, die Welt und die anderen Menschen an sich anzupassen oder man verändert sich selbst und versucht, sich und seine eigenen Bedürfnisse an die jeweiligen Verhältnisse anzupassen. Nur wenigen Menschen gelingt es, mit der Diskrepanz zwischen einem Ist- und Sollzustand insofern umzugehen, als sie eine andere Bewertung des im Außen erlebten Geschehens im eigenen Inneren anstreben. Damit einher geht auch, die Demut wiederzuentdecken, das Leben bisweilen auch einfach so anzunehmen, wie es ist. 
  • Von der Beziehung zur Begegnung: In Beziehungen gehen wir oft an andere Menschen heran, als ob wir sie umgestalten und neu streichen könnten. Damit machen wir sie zum Objekt unserer Erwartungen, Bewertungen und Ansprüche. Wir behandeln andere dann im Grunde wie einen Gegenstand, lassen uns aber nicht auf eine lebendige Beziehung und wahre Begegnung ein. Wer zum Objekt gemacht wird, erlebt das als Verletzung seiner Grundbedürfnisse. Wünschenswert hingegen sind Beziehungen auf Augenhöhe. Wir lernen uns stattdessen als Subjekte zu begegnen und fühlen uns in Folge gesehen und angenommen. Aus einer Begegnung geht man immer gestärkt hervor.
  • Wie werden lebendige Bedürfnisse unterdrückt und wie kann die eigene Bedürftigkeit überwunden werden? Durch ungestillte seelische Grundbedürfnisse (Verbundenheit und Autonomie) entsteht starke Inkohärenz. Um mit dieser auf Dauer leben zu können, müssen wir das Bedürfnis wegdrängen bzw. verwickeln uns damit - dann aber werden wir zu Bedürftigen. Hier spielt die Selbstliebe eine große Rolle. Du bist  weniger verführbar, wenn du jemand bist, der sich mag und liebevoll mit sich umgeht. Dann verbindest du dich wieder mit dir selbst und fängst an, das zu tun, was dir guttut. Damit wirst du zum Gestalter deines Lebens.
  • Potentialentfaltung braucht spielerische Leichtigkeit. Alles Lebendige ordnet sich am Ende so, dass es gelingt. Es will sich entfalten. Das musst du nicht machen, sondern zulassen und manchmal auch ermöglichen. Potentialentfaltung geschieht, wenn alles leicht ist und du nicht getrieben bist. Wir dürfen die Vorstellung, wie etwas zu sein hat, loslassen. So können wir uns auf das Leben einlassen. Die Intuition hilft uns dabei. Den richtigen Weg erkennst du daran, dass es immer leichter wird. 
  • Der Ausweg aus selbstverschuldeter Unmündigkeit besteht darin, kompetent darin zu werden, die eigenen Probleme selbst zu lösen, im Sinne von: schön, dass du da bist liebes Problem, an dir kann ich wachsen. Dazu zählt auch, wieder in Kontakt zu kommen mit den eigenen tiefen Bedürfnissen. Der erste Schritt ist immer, dich wieder mit dir selbst zu verbinden und mit deiner eigenen Lebendigkeit sowie liebevoll mit dir selbst zu sein. Das ist eher eine innere Haltung und weniger ein Gefühl. Wer sich selbst erkennt und die eigenen Muster bewusst sieht, kann etwas verändern.
  • Hilfe zur Selbsthilfe. Wenn du weißt, worum du dich kümmern möchtest, bist du bereit, dir Wissen anzueignen, um dich darum kümmern zu können. Die wirklichen Entscheidungen im Leben finden nur dort statt, wo du keine Informationen von außen nutzen kannst. Um herauszufinden, was das Richtige ist, musst du nach innen schauen. Wer sich um etwas kümmert, das ihm an Herzen liegt, erlebt sich in seiner Subjekthaftigkeit und verschenkt etwas. Es geht wohl darum, darauf zu hören, was in dir ruft und die Entscheidung dafür zu treffen, diesem Ruf zu folgen. 
  • Alles Wissen ist nutzlos, wenn es nicht umgesetzt wird. Wandel kann nicht auf der globalen Ebene beginnen, sondern muss zunächst individuell und regional wachsen - dort, wo Menschen versuchen, ein für alle gutes Zusammenleben zu gestalten. Es ändert sich nichts in der Welt, indem du darüber redest - du musst es einfach ausprobieren. Ein Leben wird dadurch schön, dass man sich mit dem Leben verbindet und mit dessen Unvorhersehbarkeit. Dann macht das Leben nur noch Freude. Das bedeutet auch, damit aufzuhören, sich mit Dingen zu beschäftigen, die man sowieso nicht ändern kann. Das ist eine große Erkenntnis und eine große Entscheidung. 

Quelle: Ausbildungsunterlagen zum Potentialentfaltungs-Coach nach Gerald Hüther, 2025

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